Essay von Jens Oberheide

Freimaurerei – Ein Lebensstil

Die Welt des Bauens hat neben dem praktischen Aspekt immer auch einen symbolischen Aspekt. “Aufbauen” ist zum Beispiel ein solcher. Ich kann eine Beziehung aufbauen, oder ein Haus, oder die Marktwirtschaft. Ein Dach über dem Kopf bedeutet im übertragenen Sinn auch Schutz und Sicherheit. Ich kann eine Brücke zum Nächsten schlagen. Ich kann aber auch eine “Wand des Schweigens” errichten. Oder eine Mauer. Wenn das doppelsinnige Bild stimmt, dass die Mauer, die uns so lange getrennt hat, noch immer in einigen Köpfen ist, dann mag das zeigen, wie bedrückend aktuell die Symbole oder Metaphern aus der Welt des Bauens sein können. Positiv wie negativ – immer aber auch umdeutbar auf Befindlichkeiten, Lebenskreise, Ethik und Moral.

Unsere freimaurerische Symbolik kommt aus der Welt des Bauens, und derart Umsetzbares kennzeichnet Freimaurerei noch heute – und zwar in der Spanne von der Baukunst zur Lebenskunst. Vereinfacht: Freimaurerei ist ein Lebensstil. In seiner Schrift “Ernst und Falk” schreibt Lessing “Freimaurerei war immer”. Eine romantische Behauptung. Man könnte ebenso romantisierend ergänzen: “Freimaurerei wird immer sein” und damit die Faszination einer zeitlosen Idee ansprechen, für die der Begriff “Freimaurerei” allerdings nur ein Synonym ist.

Einige Anmerkungen dazu: Das griechische Wort “Arche” heißt “Anfang, Urgrund, Prinzip”. Noahs Arche gilt als Symbol der Kultur, weil alle Menschenweisheit und der Gedanke kreatürlichen Miteinanders über die Sintflut gerettet wurde. Die Architektur ist aus diesem Wortstamm “Arche” die Anfangskunst, d.h.: Die Baukunst steht am Anfang aller Künste, als der Mensch begann, sein Dasein und Sosein auszugestalten. Als er sich seiner schöpferischen Kraft bewusst wurde, war der Mensch der Baumeister einer neuen Welt. Er baute und dachte selbstbewusst und eben dieses hat Lessing für den Gedanken benutzt “Freimaurerei war immer”, was soviel heißt wie: Es hat immer Menschen gegeben, die derart frei denken und handeln und ihr Leben selbst ausgestalten wollten.

“Freimaurerei” hat das natürlich nicht immer geheißen, aber so, wie am Anfang aller Künste die Baukunst steht, steht der Gedanke von der Freiheit des Geistes und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen am Anfang der Symbolischen Freimaurerei, die sich als Idee äußerte, als sich der Mensch allmählich aus angeblich gottgewollten und durch allerlei Obrigkeiten verordneten Abhängigkeiten und Unmündigkeiten befreite.

“Aufklärung” nennt die Geschichte diese Epoche. Vor dem Hintergrund der “Aufklärung” im 17/18. Jahrhundert hat die Freimaurerei den Gedanken der alten, uranfänglichen und immer weiter entwickelten Baukunst mit dem der menschlichen Vernunft und Mündigkeit zusammengezogen zu einem nur ihr eigenen Gebilde von Form und Inhalt. Noch heute stützt sich unsere Freimaurerei auf diesen Brückenschlag von Baukunst zur Lebenskunst.

Das Leben sinnvoll gestalten, ein vernünftiges Miteinander pflegen – das wollten schon unsere direkten freimaurerischen Vorfahren; Bauleute, die organisiert waren in Bauhütten. Eine Bauhütte – englisch “lodge”, eingedeutscht “Loge” – war ein Bund auf Lebenszeit, weil ein Dombau z.B. so lange dauerte. Die Konsequenz: Man musste miteinander auskommen, die Gewerke waren aufeinander angewiesen, und ohne zwischenmenschliche Bindung war ein solcher Zweckbund nichts wert. So wuchs man zusammen und machte das Beste daraus. Praktisch und menschlich.

Das menschliche Miteinander ist noch immer Kernpunkt der Freimaurerei. Miteinander leben, miteinander auskommen und das Beste daraus machen – so schlicht ist das eigentlich. Aber es ist auch jedem bewusst, dass dieses “Miteinander leben – miteinander auskommen” das Schwierigste überhaupt ist, und dass alle Konflikte Ihre Ursache darin haben, dass dieses Miteinander nicht funktioniert. Hier projiziert die Freimaurerei ein Idealbild gegen die Realität. Das haben jene berufsfremden Denker einer neuen Welt damals sehr bewusst auch so angelegt, als sie im 17. Jahrhundert zu den “Alten Freien Maurern” stießen und die praktische Baukunst in eine Kunst zu leben übersetzten. Basis dazu war die symbolisch umgedachte alte Praxis des Bauhandwerks. Himmelwärts bauen konnte auch himmelwärts denken heißen. Auf der Waage – der gleichen Ebene aller – traf man sich. So recht wie der rechte Winkel sollten die Gedanken sein. So wie ein Stein die anderen stützt und trägt für den Brückenschlag, so wollte man einander stützen und tragen, füreinander da sein. Der Zirkelschlag sollte alle einschließen – ohne Rücksicht auf Rang, Stand, Weltanschauung, Hautfarbe und irdische Güter.

Nur menschliche Qualität sollte zählen, sonst nichts. Und: mit dem Senkblei wollte man das eigene Innere ausloten, sehen, wie es um das Ego bestellt war, um mit sich selbst ins Reine zu kommen: Schau in dich – schau um dich und mach das Beste daraus, was zeigt: Symbolik hat eine prinzipielle Mehrdeutigkeit. Unsere freimaurerischen Vorväter haben eine Mischung aus Bauhandwerk und symbolischer Umdeutung angedacht, die ganz bestimmte Lebensmaximen enthält. Vereinfacht kann man sagen: “Freimaurerei ist die Idee des sinnvollen Bauens und Gestaltens von Raum und Zeit”.

Es fügt sich, dass sich derartige Gedanken im Zeitalter der “Aufklärung” trefflich aufs Miteinander und Füreinander beziehen ließen. Die freimaurerische Umsetzung in den Lebensalltag war damals – in einem politischen und kirchlichen Umfeld – aber durchaus nicht unproblematisch. Man muss sich vor Augen halten, was es Anfang des 18. Jahrhunderts bedeutete, sich auf einer Ebene – der Waage – zu treffen. Das hieß doch: aus der Abhängigkeit von Hierarchien herauszutreten, die damals noch übermächtig waren. Den rauen Stein bearbeiten, ihm eine neue Form geben, die eigene schöpferische Kraft entdecken. Selber die Geschicke in die Hand nehmen, selber Zeit und Raum planen, bauen und gestalten, aktiv eingreifen ins Geschehen. Das entsprach so ganz den Ideen Kants, der in der “Aufklärung” den “Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit” sah. Die Freimaurerei hat damals schon tatsächlich den mündigen Menschen gemeint, und nichts anderes meint sie heute.

Die Befreiung aus vielfältigen gesellschaftlichen und geistigen Zwängen kennzeichnet die frühe Entwicklung der Freimaurerei, die sich 1717 in London zur ersten Großloge der Geschichte formierte und sich dann rasch überall in Europa und der Welt verbreitete. Sie konnte sich mit ihrem idealistischen Gedankengut auch deshalb so rasch verbreiten, weil die ausdrucksvolle Symbolsprache profane Sprachbarrieren überwand und individuelle Deutungen nicht nur zuließ, sondern ausdrücklich förderte. Hier war keine einengende Ideologie, sondern eine befreiende Lebensart gemeint. Das ließ sich zur Selbstverwirklichung umdenken, wirkte aber nach außen auch gesellschaftskritisch grenzüberschreitend und galt nahezu stellvertretend als Aufbegehren gegen Zwänge. Für einige war Freimaurerei um so attraktiver, je spürbarer die Zwänge waren. Der Absolutismus des Staates, der Standesdünkel der Gesellschaft, der Machtanspruch der Kirche, das Ungleichgewicht der Kräfte. So besehen konnte man die Freimaurerei durchaus als Provokation verstehen, die gegen diese Zwänge Mündigkeit setzte, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit meinte.

Freimaurerei hat solche Wesensinhalte niemals als Gruppe im Sinne von Partei oder etwa Kampfbund vertreten, sondern nur als Symbolbund, als Geisteshaltung, als Lebensform Einzelner. Doch hat die Freimaurerei – einfach durch ihr liberales Ideensystem – von Anfang an gegen mächtige Hierarchien gestanden und ist ihrerseits von diesen stets beargwöhnt worden. ‘Viel Feind – viel Ehr’ könnte man meinen, wenn uns die Feindschaft mächtiger Gegner nicht immer auch Verleumdung, Verbot und Verfolgung gebracht hätte. Bis in unsere Tage. Hierzulande war Freimaurerei natürlich weder im Dritten Reich noch in der DDR möglich. Warum ist das so?

Drei vermeintlich unkritische Zitate von drei Freimaurern: Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte zum Staat: “Vaterlandsliebe ist seine (des Freimaurers) Tat. Weltbürgersinn sein Gedanke.” Friedrich der Große zur Religion: “Jeder soll nach seiner eigenen Facon selig werden.” Voltaire zur Toleranz: “Wenn ich nicht deiner Meinung bin, werde ich doch alles dafür tun, dass du deine Meinung frei sagen kannst.” Weltbürgersinn, weltanschauliche Offenheit, Meinungsfreiheit in der gemeinsamen Klammer einer weitgehenden Toleranz. Das hört sich nach einem allgemeinen Grundrechtsverständnis an, steckt aber voller Brisanz. Freimaurerische Geisteshaltung, die sich so oder ähnlich äußert, hat nämlich bis heute dazu geführt, dass man Freimaurerei nur dort findet, wo es Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt.

Das Toleranzprinzip der Freimaurerei ist für alles Totalitäre eine Provokation. Folgerichtig wird sie in allen totalitären Staaten nicht geduldet, und alle absoluten Religionen der Welt halten sie für unvereinbar mit ihrer Glaubenspraxis. Nun kann man recht gut und spannungsreich damit leben, wenn man derartige Gegnerschaften mit dem Selbstbewusstsein eigener Position annimmt. Es ist nicht an uns, etwa einen alleinseligmachenden Anspruch anzutasten. Und: ein absoluter Staat mit engstaatlichem Nationaldenken und internationalen Feindbildern kann gar nicht anders, als grenzüberschreitender Toleranz zu misstrauen. So kann und darf es niemanden überraschen, wenn sich starre Religionen und Diktaturen – links wie rechts – gegen freimaurerische Liberalität und Toleranz stellen. Denn: Macht ist essentiell intolerant, während die Toleranz ebenso essentiell zur freimaurerischen Grundhaltung gehört. Es ist wohl bedacht, dass Streitgespräche über Politik und Religion seit jeher tabu sind in der Loge. Es gilt bei uns immer noch: jeder nach seiner Facon. Uns interessiert nur der Mensch und seine Würde, und so fragen wir auch nicht nach Geld und Gut und haben Mitglieder aller Gesellschaftsschichten bei uns, Arme, Reiche, Rechte und Linke, Schwarze und Weiße, Könige und Diener.

Es gibt wohl keine Vereinigung mit dieser Spanne von Mentalitäten und Befindlichkeiten, die diese Spanne von Mentalitäten und Befindlichkeiten nicht nur duldet, sondern ausgesprochen kultiviert und aus dieser Mixtur ganz wesentliche Kräfte zieht. Gewöhnlich heißt es ja “Gleich und Gleich gesellt sich gern”, was meint, gleiche Ansichten und Absichten, vergleichbare Charaktere ziehen sich an und verfolgen gleiche Ziele. In der Freimaurerei gibt es hingegen eine große Bandbreite individueller Denkweisen, und es gibt lediglich eine Art Minimalkonsens, unter dem sich die Brüder in ihrem So-Sein tolerieren, das heißt auch: in ihrem Anderssein von Denken, Handeln und Glauben. Hier ist eine Toleranz gemeint, die in Mitscherlichs Sinn etwa das Ertragen des Anderen meint, in der Absicht, ihn besser zu verstehen. Das soll natürlich nicht nur freimaurerisches Sonntagsbekenntnis hinter verschlossenen Logentüren bleiben, sondern in den Alltag hineinwirken: den Mitmenschen sehen, verstehen lernen, ihn annehmen. Im weitesten Sinne ist hier eine Solidargemeinschaft mit allen Menschen guten Willens gemeint, und im konkreten Bezug: eine Mitverantwortung für die Gesellschaft. Eine aktive Mitverantwortung. Das meint auch: Hilfe für die Schwachen und Bedürftigen, Mitleid, Güte und Barmherzigkeit, was sich nicht nur in Spendengeldern erschöpft. Gefragt ist tätige Hilfe, praktische Nächstenliebe.

Bei soviel idealistischen Ansätzen drängt sich möglicherweise der Verdacht auf, dass in der Loge vor allem Weltverbesserer, Idealisten und schwärmerische Schöngeister zu finden sind. Wohl auch. Aber es überwiegen eindeutig die Lebenspraktiker, Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und mit offenen Augen und wachem Verstand die Dinge um uns herum betrachten. Was sie bewirken reicht freilich meist nicht über das persönliche Umfeld, Familie, Beruf, Gemeinde hinaus. Aber: wenn alle nur etwas dafür tun, dass unser Umfeld ein wenig menschlicher wird, dann wäre viel gewonnen, für uns selbst und mit uns selbst. Denn, sagt Lessing, “zum Besten der Menschheit kann niemand beitragen, der nicht aus sich selbst macht, was aus ihm werden kann “.

Und so geht es auch um Selbstverwirklichung, um Lebensqualität und Sinn, um sinnvolle Lebensgestaltung. Goethe spricht vom “geistreichen Zusammensein lebenslustiger Menschen” und meint: lebensbejahend, positiv denkend. Freimaurerei muss auch Freude machen, anregen, bereichern, ja, beglücken. Und sie tut das in einem aktiven Freundschaftsbund, der zu leben versteht, der seine aufklärerische Ideologie aus der Symbolwelt bezieht, der seine Identität und Kraft aber auch besonderen Ritualerlebnissen verdankt.

Ich spreche damit jenen faszinierenden Spannungsbogen von Innen- und Außenwelt an, der unsere Freimaurerei seit jeher eigenständig und unverwechselbar macht. Wir verstehen darunter eine Art Balance von Geist und Gemüt, die uns hilft uns selbst und die Zusammenhänge um uns herum besser, gelassener und ausgewogener zu sehen. Wir haben ja oft verlernt, in uns hineinzuhorchen und das, was wir intellektuell formulieren, auch mit Herz und Seele zu ergänzen. Freimaurerisches Ritual bewirkt genau dieses mit einer Mischung aus Brauchtumspflege, Bausymbolik, sensibler Innensicht und ethischem Anspruch. Was hat man nicht alles hineingeheimnisst in dieses Ritual!

Warum wir nicht darüber sprechen, lässt sich mit einem Vergleich andeuten. Es wäre so, als wolle man über ein Musikerlebnis reden und spräche doch nur über Noten und formale Aspekte der Interpretation. Musik muss man hören, erleben, genießen, nachklingen lassen. Das freimaurerische Ritual ebenfalls. “Worte sind gut”, sagt Goethe, “aber Worte sind nicht das Beste. Das Beste wird nicht deutlich durch Worte.” Wenn man überhaupt von “Geheimnis” reden darf, dann ist es das Erlebnis, nicht beschreibbar und deshalb nicht “verratbar”, eine quasi “innere Angelegenheit”. In diesem Sinne:

Wir sind keine geheime, wohl aber eine “diskrete” Gesellschaft, was kein Widerspruch zu einer freimütigen Öffentlichkeitsarbeit ist. Freimaurerische Rituale sind schließlich ebenso “öffentlich” und alltagsfähig, wie zeitlos, weil es noch immer gilt, Trennendes zu überwinden, Verständigung zu suchen, Mitverantwortung zu übernehmen, Zivilcourage zu zeigen, Brücken zu bauen. Brüderlichkeit, sagt Zukunftsforscher Robert Jungk, ist vielleicht “die einzige praktische Möglichkeit des Überlebens auf einem Planeten, der so viel enger und ärmer geworden ist.”

In Zeiten globaler Informationsstrukturen, Massenkommunikation und weit verbreiteter Sensationslust, wo alles, selbst das Intimste, in die Öffentlichkeit gezerrt, bloßgestellt und vermarktet wird, erscheint uns ein “gedeckter Raum” – wie in der Loge – besonders wertvoll. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. So ist die Loge auch ein Zufluchtsort, eine Enklave, wo man den Alltag vor der Tür lassen kann. Ein Engbund, Lehr- und Übungsstätte für Brüderlichkeit, uneingeschränktes Vertrauen, weitgehende Toleranz, größtmögliche Geistes- und Gewissensfreiheit, herzliche Nächstenliebe, multikulturelle Vielfalt. In der Loge kann man gemeinsam über Gott und die Welt nachsinnen, Herz und Seele öffnen und sich dem Bruder anvertrauen, wohlwissend, dass dieses Vertrauen niemals missbraucht wird. Lessing nennt das “Laut denken mit dem Freunde.”

Es ist ein alter Traum, etwas von diesem Lebensstil, von dieser Geisteshaltung in den Alltag zu bringen. In den Alltag zu bringen, wo es die sichtbare und – zunehmend – versteckte Not gibt, wo Vereinsamung, gesellschaftliche Isolation um sich greift, wo Menschen aneinander vorbei gehen, statt aufeinander zu, wo diese Solidargemeinschaft eben nicht stattfindet, wo Menschen streiten und unversöhnlich hassen, und wo alles mitunter auch eskaliert.

Freimaurerische Spielregeln bleiben auf eine ideale – und darum wohl auch utopische – Weise aktuell: Fair miteinander sein, redlich argumentieren, zuhören, mitleiden und den Anderen tolerieren. Toleranz macht friedfertig. Friedfertigkeit löst Konflikte. Wieviel besser stünde es um unsere unruhige Welt, wenn sich die Konflikte – die kleinen und die großen – so lösen ließen, wenn wir wieder lernten, genauer hinzusehen, was um uns herum geschieht, und wenn wir Zivilcourage genug hätten, einzuschreiten, beispielgebend einzustehen für diese Solidargemeinschaft Mensch, so wie wir mit unserer Bruderkette der Hände die Bruderkette der Herzen meinen. Faszination einer zeitlosen Idee. Aber: es menschelt natürlich auch in der Freimaurerei, und weil das so ist, gilt dieses permanente “Einüben der Brüderlichkeit” und jenes unentmutigte Verlieren-Können. Es dennoch immer wieder mit heißem Herzen wollen: das bessere Miteinander in einer besseren Welt. Das macht unseren freimaurerischen Sinn, und das kennzeichnet diesen Lebensstil Freimaurerei, dem wir uns verpflichtet haben.

Siegfried Lenz sagt: “Die alten Symbole Winkelmaß, Wasserwaage und Senkblei zeugen von der Beharrlichkeit einer Hoffnung, die sich durch nichts widerlegt sehen will. Vor der etablierten Ungerechtigkeit nach Gerechtigkeit zu verlangen, im Zeichen der Ungleichheit Gleichheit zu fordern, angesichts tätiger Feindseligkeit zur Brüderlichkeit überreden.”

Das gilt noch immer und beantwortet die gelegentlich gehörte Frage, ob Freimaurerei noch zeitgemäß sei. Das ist sie. Unsere Symbole sind zeitlos, weil Symbole wandelbar, immer neu auslegbar und in ihrem Kern doch unverändert gültig sind. Und: keines unserer großen Ideale ist verwirklicht. Weder die Freiheit, noch die soziale Gerechtigkeit, weder die Toleranz noch das brüderliche Miteinander. Die Zustände in unserer Welt sind immer noch Missstände, und die zwischenmenschlichen Aspekte sind keineswegs harmonisch. Und: wer selbst ist ohne Fehl?

So ist die Freimaurerei noch immer jene Großbaustelle, wie sie es in den alten Bauhütten war. Eine Symbolische Großbaustelle der Innen- und Außenwelt, denn alles in der Freimaurerei führt zum Menschen hin und auf die Menschen zurück, und das Motiv ist noch immer die alte Sehnsucht nach Verständigung, gegenseitiger Achtung und Zusammengehörigkeit.

“Alle Menschen werden Brüder”, von Schiller für die Loge in Dresden geschrieben und von Beethoven in seiner 9. Symphonie so meisterhaft vertont, das ist natürlich Fiktion. Purer Idealismus spricht auch aus den Schlussworten einer Tempelfeier: “Geist der Lieb’ erfüll’ die Erde, dass das menschliche Geschlecht eine Bruderkette werde, teilend Wahrheit, Licht und Recht.”

Weil es die heile Welt voller Wahrheit, Licht und Recht nicht gibt, und weil nicht alle Menschen Brüder werden, steht die vergleichsweise kleine Schar von 4 Millionen Freimaurern in der Welt, 14.000 davon in Deutschland, misst man sie an der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Ideale, auf verlorenem Posten. Dennoch pflegen sie diesen Lebensstil namens Freimaurerei, wohl wissend, dass “der Weg das Ziel” ist.

Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben